Ärzte halten sich an den Handgelenken und demonstrieren Teamwork

Ärzte- und Apothekerschaft treiben gemeinsam die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran

Philipp Senn
Philipp Senn

Ein digital ereignisreiches Jahr neigt sich im Schweizer Gesundheitswesen dem Ende zu. Zeit, mit zwei Entscheidungsträgerinnen zurückzublicken. Yvonne Gilli, Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, und Martine Ruggli, Präsidentin des Schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse, haben im Jahr 2024 mit dem E-Rezept Schweiz mit ihren Verbänden ein wichtiges Projekt gemeinsam geprägt. Wir wollen wissen, wie die Verbände die digitale Transformation der Branche mitgestalten, und schwenken den Blick auch schon ins Jahr 2025.

Frau Gilli und Frau Ruggli, in den kommenden Jahren soll das Schweizer Gesundheitswesen endlich grössere Schritte in der Digitalisierung machen, zum Beispiel mit dem Bundesprogramm Digisanté, aber auch mit Bottom-up-Projekten wie dem E-Rezept Schweiz. Wie fühlen Sie den Puls Ihrer Mitglieder aktuell, wenn es um Digitalisierung geht, und welche Rolle haben Sie und die Verbände auf dem Weg zu einem digitaleren Gesundheitswesen?

Yvonne Gilli: Vor allem die Fach- und kantonalen Verbände sind sehr nah an ihren Mitgliedern und kennen deren Herausforderungen gut. Die FMH holt darum über die Delegierten die Bedürfnisse ihrer Mitglieder ab, um deren Interessen auf nationaler Ebene gut zu vertreten. Wir bringen uns aktiv bei der nationalen Gesetzgebung ein, um die Digitalisierung so mitzugestalten, dass sie allen einen Mehrwert bringt. Denn Ärztinnen und Ärzte schätzen gut funktionierende digitale Instrumente sehr und nutzen sie in ihrem Alltag. Doch leider sind sie oft mit zu wenig funktionalen Klinik- und Praxisinformatiksystemen konfrontiert. Sie sind abhängig vom jeweiligen Provider oder von dysfunktionalen Regulierungen.

Martine Ruggli: Die Digitalisierung ist auch für Apotheken nichts Neues. Sie haben ihre Prozesse bereits angepasst, zum Beispiel mit Robotern für die Lagerverwaltung. Aber die digitalen Prozesse haben in den letzten Jahren, insbesondere seit der Pandemie, enorm an Bedeutung gewonnen. Sie bestimmen die Zukunft der pharmazeutischen Versorgung. Für die Initiative E-Rezept Schweiz haben sich pharmaSuisse und FMH zusammengeschlossen. Ziel ist es, sowohl für die Leistungserbringer als auch für die Patientinnen und Patienten eine gute Lösung zu haben. Wir wollen aber auch vereinheitlichen, um einen verlässlichen Standard zu setzen und damit zu vermeiden, dass man mit vielen verschiedenen Lösungen und Portalen den Überblick verliert.

Wir wollen mit dem E-Rezept Schweiz einen verlässlichen Standard setzen, um zu vermeiden, dass man mit vielen verschiedenen Lösungen und Portalen den Überblick verliert.
Portrait von pharmaSuisse Präsidentin Martine Ruggli
Martine Ruggli Präsidentin pharmaSuisse

Wie wichtig erachten Sie das Projekt E-Rezept Schweiz für die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen und was erhoffen Sie sich speziell davon?

Martine Ruggli: Die Lancierung des elektronischen Rezepts ist ein wichtiger digitaler Schritt im Gesundheitswesen – nicht nur für die Leistungserbringer, sondern insbesondere auch für die Patientinnen und Patienten. Daten und Informationen sollen in einem strukturierten Format von A nach B transportiert werden. Ein sicheres und datenschutzkonformes E-Rezept, das für Patientinnen und Patienten sowie für Leistungserbringer einfach anzuwenden ist, kann grossen Mehrwert schaffen. Einerseits können damit Prozesse optimiert werden, andererseits haben Patientinnen und Patienten jederzeit Zugriff auf ihr Rezept. E-Rezepte können leicht überprüft werden. Sie sind weniger fehleranfällig, fälschungssicher und kopiergeschützt.

Yvonne Gilli: Das elektronische Rezept ist sinnvoll und zeitgemäss. Als Leistungserbringer können wir unser Wissen einbringen und praktikable Lösungen vorschlagen. Dies ist sehr wichtig, wenn Sie überlegen, wie oft eine Ärztin oder ein Arzt Rezepte ausstellt. Deshalb engagieren wir uns für das elektronische Rezept in Zusammenarbeit mit HIN und pharmaSuisse. Es muss praxistauglich in die Primärsoftware integriert und in jeder Apotheke einlösbar sein. Nur so ist das Rezept für uns ein Leuchtturmprojekt: Es bringt unseren Ärztinnen eine wichtige Dienstleistung und es verdeutlicht, dass es für eine erfolgreiche Umsetzung die Expertise aus der Praxis braucht.

Welche anderen Projekte gibt es, die für Sie jetzt und in naher Zukunft wichtige digitale Schritte fürs Schweizer Gesundheitswesen darstellen?

Yvonne Gilli: Grosser Entwicklungsbedarf besteht sicher darin, dass die elektronische Kommunikation noch fragmentiert und zu wenig standardisiert ist. Ärztinnen und Ärzte sind naturwissenschaftlich interessiert und sehr digitalisierungsaffin. Wenn sie aber mit zu veralteter Software konfrontiert sind, bewirkt dies genau das Gegenteil von dem, was man von der Digitalisierung erwartet, nämlich mehr administrativer Aufwand. Fortschritte wird man nur in enger Zusammenarbeit mit den Anwendenden, also gemeinsam mit der Ärzteschaft, erreichen. Dies wird auch zentral sein für den Erfolg grosser Projekte des Bundes wie Digisanté oder des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG).

Martine Ruggli: Das EPD war ja eines der Vorzeigeprojekte des Bundes in den letzten Jahren. Leider müssen wir feststellen, dass das aktuelle Ergebnis nicht den Erwartungen entspricht. Das ist sehr schade, ja schon fast ein Skandal für ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem. Wir konzentrieren uns daher mehr auf Projekte wie E-Medikation und E-Impfausweis. Dazu pflegen wir einen engen Draht zu Digisanté, den Behörden (BAG) und weiteren Stakeholdern, um solche digitalen Projekte voranzutreiben. Als Verband versuchen wir, unsere Mitglieder aktiv zu unterstützen. Unsere Plattform ihre-apotheke.ch möchten wir gezielt mit den führenden Anbietern auf dem Markt vernetzen. So kommt unser Apothekenfinder auch bereits beim E-Rezept Schweiz Service zum Einsatz.

Um Ambulantisierung, Entbürokratisierung und Fachkräftemangel zu meistern, brauchen wir gut funktionierende digitale Instrumente.
Portrait von FMH Präsidentin Yvonne Gilli
Yvonne Gilli Präsidentin FMH

Die FMH ist Hauptaktionärin von HIN. Nun hat sich in diesem Jahr auch pharmaSuisse an HIN beteiligt. Welchen Stellenwert hat HIN für Ihren Verband?

Yvonne Gilli: HIN steht im Schweizer Gesundheitswesen für eine sichere, verschlüsselte Kommunikation – und das ist eine zentrale Voraussetzung für die Qualität und die Sicherheit der Gesundheitsversorgung im digitalen Zeitalter. Die Beteiligung an HIN ergab sich historisch dadurch, dass Ärztinnen und Ärzte zu Beginn der Digitalisierung viele Programme selbst entwickelt haben. Aktuell ermöglicht sie uns die aktive Mitgestaltung der digitalen Transformation.

Martine Ruggli: HIN ist bei den Ärztinnen und Ärzten sehr gut etabliert. Viele von ihnen haben eine elektronische Identität von HIN. HIN war also ein idealer Partner für die Entwicklung des E-Rezept-Schweiz-Services. Dies war für den Erfolg von entscheidender Bedeutung, denn wenn die Ärztinnen und Ärzte nicht mit dem elektronischen Rezept verschreiben, nützt es nichts, wenn die Apotheken in der Lage sind, elektronische Rezepte zu verarbeiten. Aufgrund der erfolgreichen Partnerschaft mit HIN gelang es uns, die Anliegen der Apotheken einzubringen, damit die Umsetzung des E-Rezepts Schweiz sowohl bei der Ärzteschaft als auch in den Apotheken auf eine möglichst effiziente Weise geschieht. Gemeinsam können wir eine Schlüsselposition in der Digitalisierung von Leistungserbringern im Gesundheitswesen einnehmen.

Und zum Schluss: Was sind Ihre Strategien und Wünsche fürs neue Jahr?

Martine Ruggli: Konzentriert auf das Gesundheitswesen wünsche ich mir, dass Projekte wie das E-Rezept Schweiz auch die Interprofessionalität zwischen den Berufen fördern. Die Herausforderungen im Gesundheitssystem sind gross und die Leistungserbringer müssen viel mehr zusammenarbeiten. Als Präsidentin des Schweizerischen Apothekerverbandes wünsche ich den Apothekerinnen und Apothekern und ihren Teams, dass sie ihren Beruf unter den bestmöglichen Bedingungen und mit den nötigen Ressourcen ausüben können, um weiterhin einen qualitativ hochwertigen Service zu bieten.

Yvonne Gilli: In diesem Herbst hat die Ärztekammer die Strategie der FMH für die nächsten vier Jahre genehmigt. Darin sind drei Schwerpunktthemen genannt: Ambulantisierung, Entbürokratisierung und Fachkräftemangel. In diesen Themenfeldern wird die Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen in Bezug auf die Attraktivität der beteiligten Berufe. Die baldige Einführung des elektronischen Rezepts ist ebenso wichtig wie die Begleitung der ambulanten Tarifreform mit dem Ziel, damit Ärztinnen und Ärzte mit sach- und zeitgerechten Tarifen arbeiten können.

Portrait von FMH Präsidentin Yvonne Gilli

Yvonne Gilli

Dr. med. Yvonne Gilli ist seit 2021 Präsidentin der FMH, der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Von 2016 bis 2020 war Gilli als Mitglied im FMH-Zentralvorstand zuständig fürs Dossier «Digitalisierung». Als erfahrene Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und ehemalige Nationalrätin sowie Kantonsrätin setzt sie sich für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem ein. Ihr Fokus liegt auf der Förderung der Qualität medizinischer Versorgung, Digitalisierung und der Sicherstellung von Rahmenbedingungen, die den ärztlichen Beruf langfristig attraktiv halten.

Portrait von pharmaSuisse Präsidentin Martine Ruggli

Martine Ruggli

Martine Ruggli ist seit 2021 Präsidentin von pharmaSuisse, dem Schweizerischen Apothekerverband. Sie wurde 2012 in die Geschäftsleitung von pharmaSuisse gewählt und leitete unter anderem das Ressort Interprofessionelle Zusammenarbeit und anschliessend die Ressorts Innovation und Internationale Angelegenheiten. Als erfahrene Apothekerin und Expertin im Gesundheitswesen engagiert sie sich für die Stärkung der Apotheken in der Grundversorgung und die Förderung der pharmazeutischen Dienstleistungen. Ihr Ziel ist es, die Rolle der Apotheken in der integrierten Versorgung auszubauen, um damit einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Gesundheitssystems leisten zu können.

Weitere Informationen

Webseite Initiative E-Rezept Schweiz
Von Grundsätzen zur Praxis: Der E-Rezept Schweiz Service im Überblick (HIN Blog)
Stärkung der Zusammenarbeit: Schweizerischer Apothekerverband pharmaSuisse beteiligt sich an HIN (HIN Blog)
Philipp Senn
Autor: Philipp Senn - Leiter Kommunikation

Sprache und Informationstechnik haben mich schon immer fasziniert – bei HIN kann ich beides verbinden. Als Leiter Kommunikation bei HIN und «nebenamtlicher» Referent für die HIN Academy möchte ich unseren Lesern vielschichtige Aspekte der digitalen Transformation vermitteln und ihr Bewusstsein für die damit zusammenhängenden Fragen der IT-Sicherheit schärfen.

Expertise
Sprache und Informationstechnik haben mich schon immer fasziniert – bei HIN kann ich beides verbinden. Als Kommunikationsspezialist habe ich in der IT, im Verbandswesen und in der öffentlichen Verwaltung Erfahrung gesammelt. Als Leiter Kommunikation bei HIN und «nebenamtlicher» Referent für die HIN Academy möchte ich unseren Lesern vielschichtige Aspekte der digitalen Transformation vermitteln und ihr Bewusstsein für die damit zusammenhängenden Fragen der IT-Sicherheit schärfen.

Redaktionelle Inhalte
Im HIN Blog informiere ich über aktuelle Entwicklungen bei HIN, stelle Persönlichkeiten und Meinungen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen vor und berichte über E-Health und Datensicherheit. Ich führe Interviews mit Exponenten der Branche oder recherchiere Hintergrundinformationen – und gebe Ihnen so einen Einblick hinter die Kulissen.

Ganz persönlich
(Fremd-)Sprachen und Technik stehen bei mir auch privat hoch im Kurs, sei es bei Reisen in ferne und weniger ferne Gefilde oder kleinen Bastelprojekten in Haus und Garten. Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meiner Familie. Ich lache gern und bin für ein spannendes Gespräch unter Freunden, Kollegen oder Bekannten immer zu haben.

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