Ständerat Damian Müller möchte mit digitalen Rezepten die Behandlungsqualität und Patientensicherheit im Gesundheitswesen verbessern. Warum Investitionen in die Praxis-IT kein Hinderungsgrund sein können und warum der Datenschutz kein «Killerargument» für Veränderung sein darf, erklärt er im Interview.
Herr Müller, in der zurückliegenden Herbstsession hat das Parlament scheinbar den «Digitalisierungs-Turbo» gezündet. Stimmt dieser Eindruck?
Die Schweiz hat Nachholbedarf in der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Dies belegen mehrere Quellen wie der Bertelsmann Digital-Health Index oder der OECD-Technical and Operational Readiness Index sowie die Studie zur Digitalisierung in der Gesundheitsforschungvon BAK Economics. Die Versäumnisse wurden uns auch durch die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt. Der Handlungsbedarf ist also bekannt, und das Parlament beschliesst seit längerer Zeit Aufträge an die Adresse des Bundesrats mit dem Ziel, die Umstellung auf digitale Daten voranzutreiben.
Unter den aktuellen Vorstössen sind auch zwei, welche die Ärztinnen und Ärzte verpflichten wollen, Rezepte grundsätzlich digital auszustellen. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Motion 20.3209?
Es geht letztlich um Qualität und Sicherheit. Digitalisierte Rezepte haben mehrere Vorteile, wie die Sicherstellung der Lesbarkeit – ein immer wieder auftauchendes Problem in Apotheken –, die Reduktion von Fehlern, Vermeidung von Fälschungen, etc. Es ist ein Schritt in Richtung digitale Daten.
Wie wird sichergestellt, dass auch Personen, die sich mit digitalen Lösungen schwertun, es schaffen, ihr (E-)Rezept einzulösen?
Wenn in der Pandemie etwas gut funktioniert hat, dann ist es das digitale Impfzertifikat. Und es hat sich durchgesetzt. Das gelbe Impfheftchen war vereinzelt auch noch zu sehen. Analog wird sich die Situation mit dem E-Rezept darstellen.
«Wenn in der Pandemie etwas gut funktioniert hat, dann ist es das digitale Impfzertifikat. Analog wird sich die Situation mit dem E-Rezept darstellen.»
Das Forum Gesundheit Schweiz, welches Sie präsidieren, schreibt: «Wenn die Digitalisierung gelingen soll, darf es nichts kosten, eine Praxis oder Institution zu digitalisieren.» Für viele Leistungserbringer dürfte die Umstellung auf das E-Rezept jedoch mit betrieblichen Investitionen verbunden sein. Welchen Mehrwert bringen E-Rezepte den Leistungserbringern?
Der Umstand, dass sich auch die Akteure im Gesundheitswesen Gedanken über ein E-Rezept machen, zeigt, dass die Investition kein Hinderungsgrund sein kann. Es wird ja richtigerweise davon ausgegangen, dass Mehrwert erzielt werden kann. Richtig ist auch, dass Aufwand in den Tarifen abgegolten werden muss.
Verschiedene E-Rezept-Lösungen sind bereits vorhanden oder in Entwicklung, beispielsweise durch die FMH und pharmaSuisse. Kann man das Thema E-Rezept nicht einfach dem Markt überlassen?
Es ist einfach so, dass die Mühlen im Bereich der Umstellung auf digitale Daten zu langsam mahlen. Deshalb erteilt das Parlament immer wieder Aufträge. Meine Motion habe ich im Mai 2020 eingereicht. In der Zwischenzeit haben sich Akteure im Markt gemeldet, sie wollten die Initiative ergreifen. Dass FMH und pharmaSuisse an einem E-Rezept arbeiten, wurde erst im Mai 2022 bekannt.
Schliesst Ihre Motion auch Betäubungsmittelrezepte ein? Für diese muss bisher zwingend ein amtlicher Rezeptblock verwendet werden.
Für besondere Anwendungen sind entsprechende Lösungen zu treffen. Es spricht jedoch nichts dagegen, auch dafür eine digitale Lösung zu entwickeln.
«Der Datenschutz darf kein ‹Killerargument› für nötige Veränderung werden. Es ist unsere Aufgabe, die erforderlichen Mechanismen zum Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten zu entwickeln.»
Die digitale Transformation geht im Schweizer Gesundheitswesen eher schleppend voran. Im innovativsten Land der Welt kann die Verfügbarkeit von technischen und finanziellen Ressourcen kaum das Problem sein. Woran liegt es dann?
Der Grund dafür dürfte in erster Linie darin bestehen, dass das Gesundheitswesen auch ohne Umstellung auf digitale Daten funktioniert und dass das «System» neue Anwendungen, welche kraft der Umstellung auf digitale Daten möglich würden, nicht bzw. noch nicht «vermisst». Ich denke bei Letzterem etwa an die Forschung.
Ein viel genannter Grund (oder Vorwand) für die langsame Digitalisierung im Gesundheitswesen ist der Datenschutz. Müssen wir im Interesse des Fortschritts eine potenzielle Kompromittierung unserer persönlichen Gesundheitsdaten in Kauf nehmen?
Die Antwort ist ein klares Nein! Es ist auch nicht so, dass die bisherige Datenverarbeitung die Menschen hundertprozentig vor dem Missbrauch von sensiblen Daten geschützt hätte. Der Datenschutz darf kein «Killerargument» für nötige Veränderung werden. Es ist unsere Aufgabe, die erforderlichen Mechanismen zum Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten zu entwickeln, damit gesundheitsbezogene Daten verantwortungsvoll und für die Gesellschaft nutzenbringend verwendet werden können.
Damian Müller
Der gelernte Kaufmann und PR-Fachmann ist seit 2015 Ständerat des Kantons Luzern. Er ist u.a. Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit sowie Co-Präsident der parlamentarischen Gruppe Kinder- und Jugendmedizin. Ein inhaltlicher Schwerpunkt des FDP-Politikers sind Digitalisierung und Innovation. Damian Müller arbeitet als Senior Berater Public Affairs bei der «Mobiliar» Versicherung, daneben engagiert er sich in unterschiedlichen Vereinen und Gremien, so als Vizepräsident der Pro Senectute des Kantons Luzern, im Sounding Board der FMH und als Präsident des Forums Gesundheit Schweiz.
Website von Damian Müller