«Das Ziel meiner Therapie ist es, dass meine Klienten wieder Mut bekommen und erleben, dass sie etwas bewirken können.»
Die HIN Neujahrsspende 2022 geht an die Stiftung Pro Mente Sana – und steht somit ganz im Zeichen psychischer Gesundheit. Auch Barbara Ganz setzt sich als Psychotherapeutin täglich dafür ein, Menschen mit psychischen Problemen zu unterstützen. Im Interview spricht sie über Freud und Leid ihrer Tätigkeit und über die Wichtigkeit niederschwelliger Hilfsangebote.
Janine: Frau Ganz, Sie sind eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin. Wie sieht ihr beruflicher Alltag aus?
Barbara Ganz: In meiner Tätigkeit ist jeder Tag einzigartig. Einerseits arbeite ich als Psychotherapeutin in einer wunderbaren Gemeinschaftspraxis: Dort arbeite ich mit Erwachsenen ebenso wie mit Paaren und behandle mit ihnen die verschiedensten Fragestellungen. Andererseits bin ich Leiterin des Instituts für Ökologisch-systemische Therapie, einer Ausbildungsinstitution für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten und Supervisoren. Somit mache ich auch Aus-bildungssupervisionen, betreue Ausbildungskandidaten und unterrichte systemische Techniken und Haltungen. Zusätzlich mache ich oft Supervisionen in Kliniken.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Ich mag es, mit Menschen zu arbeiten und in ihre Leben reinsehen zu dürfen. Zudem schätze ich die Abwechslung sehr und finde es spannend, völlig unterschiedliche Menschen zu begleiten. Ich arbeite mit Leuten, die kurzzeitig mit Herausforderungen in ihrem Leben konfrontiert sind ebenso wie mit schwer kranken Personen, die aus dem System fallen. So spreche ich beispielsweise in einer Sitzung mit einem Bankmanager, der unter einem Burnout leidet, und in der nächsten kommt jemand, der auf Unterstützung der IV angewiesen ist und schon seit vielen Jahren mein Klient ist. Dabei werde ich zu einer Vertrauensperson für das ganze System und kann mit einer niederschwelligen Beratung unterstützen. Eine gesunde Mischung an unterschiedlichen Klientinnen ist mir wichtig, denn diese Diversität macht die Arbeit spannend und hält wach.
Ist es manchmal nicht auch belastend, täglich mit den Problemen und Schwierigkeiten Ihrer Klienten konfrontiert zu werden?
Manchmal ist es belastend und herausfordernd, ja. Wenn es beispielsweise einer Person richtig schlecht geht oder wenn Kinder im Spiel sind und diese gefährdet sind. Aber oft ist es beeindruckend und spannend zu sehen, was meine Klientinnen und Klienten trotz schwierigster Bedingungen schaffen; zu sehen, wie Menschen Überlebenskünstler sind und auch in herausfordernden Situationen weitergehen. Das Ziel meiner Therapie ist es, dass meine Klienten wieder Mut bekommen und erleben, dass sie etwas bewirken können.
« Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie Menschen Überlebenskünstler sind und auch in herausfordernden Situationen weitergehen. »
Die Situation rund um die Corona-Pandemie war und ist für uns alle herausfordernd. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Erstaunlicherweise brachte die Anfangszeit der Pandemie für einige meiner Klienten eine gewisse Erleichterung: ärmere Menschen half es, dass für einmal alle nicht ausgehen konnten, Leute mit Ängsten waren froh, nicht mit den ÖV zur Arbeit fahren zu müssen… Manche meiner Klienten blühten regelrecht auf während dieser Zeit.Auch ich persönlich fand diese Zeit nicht nur schlimm, sie ermöglichte es mir in gewisser Weise, kreativ zu werden. Und das möchte ich allen ans Herz legen: Diese Krise kann auch eine Einladung sein, um kreativ unsere Möglichkeiten umzusetzen. Um sich zu fragen, wie man noch besser auf sich selber achtgeben kann. Um sich Zeit zu nehmen, zum Beispiel für Yoga im Wald oder um etwas Neues zu entdecken wie Schreiben, unbekannte Rezepte probieren oder Töpfern lernen. Ich war jedoch wirklich froh, durfte ich während der Pandemiezeit immer arbeiten. Das sehe ich als Privileg.
Wie funktionierte Ihre Arbeit denn während des Lockdowns? Wie führten Sie die Sitzungen mit Ihren Klienten durch?
Es galt, neue Formen zu finden im Rahmen des noch Möglichen. Denn eine an Krebs erkrankte Person oder jemand in einer akuten Krise braucht auch während einer solchen Ausnahmesituation Betreuung und Hilfe. Ich war positiv überrascht, wie gut Videocalls funktionierten. Hielt ich dies anfänglich für ein No-Go, merkte ich bald, dass gerade junge Leute sehr offen dafür waren. Zwar erkenne ich die Körpersprache der Leute deutlich schlechter per Video. Doch kann ich meine Klienten dennoch anleiten und Veränderung anregen. Es braucht aber eine gewisse Stabilität der Personen, schwieriger war es bei neuen Klienten.
« Niederschwellige Hilfsangebote sind sehr wichtig und bewirken viel. »
Die Stiftung pro Mente Sana bietet Beratungen für Betroffene und ihre Angehörigen sowie Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit. Was bewirken solche Angebote Ihrer Meinung nach?
Ich halte sie für sehr wichtig. Denn leider gibt es immer weniger niederschwellige Hilfsangebote wie Jugendberatungen oder Selbsthilfezentren. Dabei ist es eine grosse Hilfe, wenn sich Leute bei Problemen niederschwellig Rat holen können. Es ist wichtig, dass ihnen die Möglichkeit für einen unkomplizierten Austausch geboten wird. Vielen Menschen hilft es in schwierigen Situationen zudem bereits zu wissen, dass es beispielsweise eine Telefonnummer gäbe, wo sie im Notfall anrufen könnten – selbst, wenn sie dies schlussendlich nicht tun.
Und noch eine letzte Frage, quasi ein Rat einer erfahrenen Psychotherapeutin: Was soll man tun, wenn es einem nicht gut geht?
Es ist wichtig, darüber zu reden und mit Freunden oder der Familie im Austausch zu sein. Ebenfalls hilfreich ist es, draussen spazieren zu gehen – auch bei schlechtem Wetter. Vielleicht kann man sich einer Jogginggruppe oder einem anderen Sportverein anschliessen. Soziale Kontakte sind etwas vom Wichtigsten. Sie geben einem ein Zugehörigkeitsgefühl und Sicherheit. Dasselbe, wenn Sie das Gefühl haben, dass es jemandem in Ihrem Umfeld nicht gut geht: Sprechen Sie es an, schauen Sie hin. Gehen Sie vielleicht zusammen spazieren und sprechen Sie darüber, was Ihnen selber in schwierigen Situationen hilft. Und weisen Sie auch auf Hilfsangebote und Therapiemöglichkeiten hin.
HIN Neujahrsspende 2022
Die diesjährige HIN Neujahrsspende geht an die Stiftung Pro Mente Sana, die sich für psychische Gesundheit in der Schweiz einsetzt.
Barbara Ganz
Eidg. anerkannte Psychotherapeutin, Supervisorin ISI und Fachpsychologin für Psychotherapie SBAP.