Der Kanton Genf war Pionier mit der Einführung des elektronischen Patientendossiers «Mon dossier médical» im Jahr 2013. Wie beurteilen die Experten nun das nationale EPD und dessen Funktionalitäten in der Anfangsphase?
Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die den Nutzen des EPD für Gesundheitsfachpersonen aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
«Der grosse Vorteil dieser ersten Version des EPD ist, dass die Informationen auf sichere Art geteilt und von den Patienten kontrolliert werden können», sagt Antoine Geissbuhler, Chefarzt und Leiter digitale Gesundheit und Telemedizin am Universitätsspital Genf (HUG) in einem 2020 in der «Revue médicale» publizierten Artikel. Und fährt fort: «Die Herausforderung ist, Daten zu haben, die genügend strukturiert und semantisch interoperabel sind, um relevant zu sein. Das elektronische Patientendossier ist ein erster Schritt: Es bietet ein Gefäss für wichtige Informationen, die so besser verwaltet werden können, auch wenn es vorderhand eine Form von digitalisiertem Papier ist. Aber dies wird Mehrwert schaffen, entweder für die Nutzer oder für das System selber, und so die Qualität der Daten erhöhen.»
Für Dr. med. Nicolas Perone, freischaffender Facharzt für Allgemeine Innere Medizin im Kanton Genf, ist das EPD längst Realität in seinem Praxisalltag. Er öffnet ein EPD (oder bis vor kurzem: ein Zugang zu «Mon dossier médical») für seine Patienten direkt in seiner Praxis. «Das dauert rund 5 Minuten. Ich erkläre meinem Patienten, was das EPD bezweckt, wie alles funktioniert und die Zugriffsrechte. Mit wenigen Ausnahmen waren bisher alle einverstanden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Ich habe sofort Zugang auf wichtige Dokumente des Unispitals Genf, den Austrittsbericht, Laborberichte oder die Medikamentenliste und kann dem Patienten diese auch gleich erklären. Ich sehe sofort, ob ein neues Medikament oder eine andere Substanz verwendet wird.»
«Mit ein paar Klicks habe ich Zugang zu wichtigen Dokumenten»
Er konsultiert das EPD seines Patienten hauptsächlich nach einem Spitalaufenthalt, dann ist der Nutzen gross: «Mit wenig Aufwand habe ich einen guten Überblick, kann erneute Laboranalysen und eine falsche Medikation vermeiden. Kurz: Mit ein paar Klicks habe ich Zugang zu wichtigen Dokumenten. Und ich kann auch viele Rückfragen ins Spital vermeiden, was früher auch viel Zeit in Anspruch nahm.» Sein Klinikinformationssystem ist über eine Schnittstelle mit dem EPD verbunden. «Ich greife auf die Dokumente im EPD nur von meinem Informationssystem aus, was die Handhabung vereinfacht. So kann ich alle Vorteile der Informatik nutzen und effizient arbeiten.»
Das EPD bringt grosse Vorteile, davon ist Dr. med. Perone aufgrund seiner Erfahrung überzeugt: «Die Pflegequalität und die Koordination zwischen den Beteiligten werden besser, und letztlich sind auch meine Patienten und ich zufriedener: Der Patient fühlt sich gut aufgehoben und betreut, und ich kann effizienter arbeiten. Die Bedenken wegen des Zeitverlustes sind unbegründet! Man darf nicht vergessen: die Arbeit mit dem Fax, der dann gescannt wird, war nicht wirklich erfreulich und kostete Zeit. Der Zugriff ins EPD ist 100mal besser als ein Fax, der teils auch unleserlich war.»
«Es gibt eine grosse Nachfrage bei den Patienten»
Auch am Universitätsspital Genf (HUG) hat das EPD längst Einzug gehalten. Für Stéphane Spahni, Informatikspezialist in der Abteilung eHealth und Telemedizin, ist die Bilanz positiv: «Ein grosser Teil der Bevölkerung kennt das EPD. Obwohl wir gerade die Daten von «MonDossierMédical.ch» zu CARA migrieren, werden regelmässig Dossiers eröffnet. Es gibt eine grosse Nachfrage bei den Patienten! Wenn ein Patient sein Dossier eröffnet, findet er seine Patientenakten vom HUG der letzten 40 Jahre. Das haben wir bewusst so eingeführt und wird sehr geschätzt.»
Im Lauf der Zeit hat das HUG verschiedene Verbesserungen eingeführt. «Seit August haben wir ein zweites EPD-Büro eröffnet, das werktags offen ist. Hier erhält man auch eine eigene elektronische Identität mittels «GenèveID», welche vom Kanton Genf angeboten wird. Interessierte Personen können so an einem Ort alle administrativen Etappen erledigen: eine elektronische Identität erhalten und ein EPD eröffnen. Das ist notwendig, wenn wir wollen, dass das EPD funktioniert. Das HUG bietet auch eine Hotline an, die bei verschiedenen Fragestellungen Hilfe bietet.»
«Das EPD ist eine Quelle zur Qualitätskontrolle.»
Mehr als 95 Prozent aller Dokumente, die heute im EPD sind, stammen vom HUG. Der Anteil an Dokumenten, die von anderen Gesundheitsversorgern stammen, soll erhöht werden, um auch den Ärzten im HUG einen grösseren Nutzen zu bieten. Die Zusammenarbeit mit den Hausärzten wurde deshalb verstärkt. «Wir hoffen, dass sich mit der Migration zu CARA und später mit einer tiefen Integration des EPD in die Systeme in den Arztpraxen die Situation verbessert. Und wir versprechen uns viel vom Medikationsplan, der in Vorbereitung ist.»
Für Stéphane Spahni gibt es neben den rein medizinischen Aspekten noch andere Bereiche, die durch die Einführung des EPD profitieren. «Das EPD ist eine Quelle zur Qualitätskontrolle. Patienten erkennen Fehler in den Unterlagen, die wir korrigieren können und die für den Behandlungsverlauf wichtig sind. Wir können auch bestimmte Praktiken verbessern, zum Beispiel den Operationsbericht verständlicher verfassen oder sicherstellen, dass nur die relevanten Informationen darinstehen. Das kann zum Beispiel wichtig sein bei einer Transplantation, wo keine Informationen zum Spender publiziert werden dürfen». Das EPD trägt zu einer effizienteren Spitalführung bei, davon ist Stéphane Spahni überzeugt: «Die Investitionen lohnen sich und sind notwendig.»
- EPD im Kanton Genf (2014): Video „Pulsation“, Universitätsspital Genf HUG
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